Das prinzipielle Reflexionsdefizit von Führung gefährdet die Leistungsfähigkeit betroffener Organisationen – Prof. Wimmer im Action Learning Workbook

Im Gespräch mit Bernhard Hauser thematisiert Rudolf Wimmer die dramatische Bedeutung, die die Reflexionsvermeidung im Management für Organisationen haben kann (Action Learning Workbook, S. 51):

„Unternehmen haben in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ihre interne Differenziertheit und Aufgabenvielfalt, ihre Strukturen und Prozesse in einer Weise weiterentwickelt, die unter der Hand eine historisch ganz neue Qualität an Komplexität hat entstehen lassen. Für dieses unternehmensintern heute zu bewältigende Komplexitätsniveau ist das tradierte Management- und Führungsverständnis schlicht zu unterkomplex. Dieser Mangel hat nicht zuletzt mit dem Umgang desselben mit den durch den Komplexitätszuwachs erzwungenen Reflexionserfordernissen zu tun. Das personenorientierte Führungsverständnis schützt die Akteure davor, im Organisationsalltag sich selbst als wesentliche Mitursache des laufenden Geschehens zu beobachten und dementsprechend zu reflektieren. In diesem Rollenbild können die Akteure von sich selbst legitimerweise abstrahieren, geht es doch primär darum, die zu Führenden zu einem instrumentalisierbaren Miteinander zu formen, das man im Sinne eines Ursache-Wirkungszusammenhangs fest unter Kontrolle hat und das damit die gesteckten Ziele sicher erreichbar macht. Die Aufmerksamkeit des Führungshandelns liegt hier also bei den jeweils anderen, die es auf eine zielkonforme Spur zu bringen gilt. Die Führung selbst, die damit verbundenen Verhaltensweisen, die zugrundeliegenden Strukturen und Kommunikationspraktiken sind nur sehr schwer thematisierbar. Unter den heute gegebenen Organisationsverhältnissen schafft dieses prinzipielle Reflexionsdefizit von Führung allerdings ein Ausmaß an Folgeproblemen, das die Leistungsfähigkeit der betroffenen Organisationen inzwischen ernsthaft gefährdet. Die ins herkömmliche Führungsverständnis systematisch eingebaute Reflexionsvermeidung, (so sehr sie den einzelnen persönlich entlasten mag), führt in der Regel dazu, dass bei den jeweils anstehenden Entscheidungen sowohl auf der sachlichen wie auch auf der zwischenmenschlichen Ebene wichtige Einflussdimensionen ausgeklammert bleiben, d.h. gar keine Berücksichtigung finden. Damit bleiben existenziell wichtige Entscheidungsherausforderungen zumeist gänzlich unbearbeitet oder werden nur symptomhaft gelöst mit der Konsequenz, dass die Art und Weise, wie Führung und Management konkret praktiziert wird, zum eigentlichen Kernproblem einer Organisation avanciert, ohne dass die Organisation diesen Umstand selbst in den Blick bekommt.“


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